Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung/ Anonymer Krankenschein

Frühjahr 2021

Seit der letzten Bestandsaufnahme (→ Jahresrückblick 2019) haben sich einige etablierte Projekte weiterentwickelt, und vor allem sind etliche lokale Projekte hinzugekommen, einige stehen noch in Verhandlungen. Man kann unterscheiden zwischen solchen, die Behandlungen auf Basis Anonymer Krankenscheine (AKS) vermitteln, und Clearingstellen mit einem Fonds für Krankenbehandlungen (sonstige Clearingstellen für Nicht-Krankenversicherte werden nicht dargestellt). Die Vermittlung in stationäre Behandlungen mit Kostenübernahme ist nach wie vor die größte Schwierigkeit bei der Fortentwicklung der Projekte.

Landesweite Projekte

 Hier ist der AKS Thüringen, seit 2017voll gefördert vom Land, weit entwickelt und in vieler Hinsicht modellhaft geworden. In Thüringen gibt es 38 Anlaufstellen für Menschen ohne Krankenversicherung, die ambulante und stationäre Behandlungen mit Kostenübernahme über einen Anonymen Krankenschein vermitteln. Bei weiterer Zunahme stationärer Behandlungen kann die Kostengrenze zum Problem werden. Die Zentrale in Jena wurde um eine Stelle für das Gesamt-Projektmanagement erweitert.
https://www.website.aks-thueringen.de/

Die Clearingstelle Berlin, gefördert vom Land Berlin, berät seit Okt. 2018 Klient:innen über ihre krankenversicherungs- und versorgungsrechtliche Lage. Seit 2019 gibt es einen Fonds für Behandlungen, eine Prüfkommission berät über Fälle mit Kosten über 10.000 Euro. Vermittelt wird in Behandlungen durch anonyme Kostenübernahmescheine. Stationäre Behandlungen sind, aus eher bürokratischen Gründen, (noch) begrenzt auf Abmachungen mit einigen Krankenhäusern.
https://www.berliner-stadtmission.de/clearingstelle

Die Clearingstelle Hamburg wurde 2012 eingerichtet als Ergänzung zu zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, die sich der medizinischen Versorgung von Geflüchteten und Migrant:innen im Stadtstaat annehmen. Sie berät Betroffene zur ausländer- und versorgungsrechtlichen Lage, vermittelt tunlichst weiter an andere Hilfsorganisationen sowie, wenn keine rechtliche Integration möglich war,  direkt an Ärzt:innen und Krankenhäuser. Entsprechende Behandlungen werden über einen „Notfallfonds“ finanziert, seit 2015 schwerpunktmäßig für Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Der Fonds wurde 2019 um ein Drittel aufgestockt auf 357.000 Euro. Die Zahl der Klient:innen lag seit 2013 zwischen 450 und 500, 2019 waren es 548
https://www.fz-hh.de/download/clearingstelle-mv/evualiationsberich-clearingstelle-2019.pdf  
http://www.fz-hh.de/de/projekte/clearingstelle_mv.php

Eine vom Land Rheinland-Pfalz geförderte Clearingstelle gibt es seit 2019 in Mainz. Über zwei Jahre hat sie Menschen ohne (ausreichenden) Krankenversicherungsschutz beraten, um sie (wieder)  abzusichern, hat nach Bedarf weitergehende Beratung geleistet, und zugleich Daten über den Umfang und die Art des Beratungs- und evtl. Behandlungsbedarfs gesammelt. Fast die Hälfte der 350 beratenen Menschen hatte die deutsche Staatsbürgerschaft, von allen Beratenen konnten 37% in eine Versicherung integriert werden. Seit Frühjahr 2021 wurde die Finanzierung erweitert, sodass in Ludwigshafen/ Worms und in Koblenz weitere Clearingstellen eröffnet werden können. Verhandlungen über einen Behandlungs-Notfallfonds dauern noch an.
https://clearingstelle-krankenversicherung-rlp.de/

Die Humanitäre Sprechstunde (HS) in Bremen ist seit einigen Monaten mit unklarer Perspektive geschlossen. Sie bietet seit ihrer Gründung 2009 eine anonyme ärztliche Basisversorgung beim Gesundheitsamt an und vermittelt nach Möglichkeit (kleiner Behandlungsfonds) in fachärztliche Behandlung, und wurde lange Zeit mit Erfolg umgesetzt. Für eine Rechtsberatung kooperiert sie mit der Clearingstelle der Inneren Mission. Seit einigen Jahren wurden die Sprechstunden aufgrund von Personalmangel und unzureichendem Engagement der Behörde immer weiter abgebaut – ein Beispiel dafür, dass ein solches Vorhaben trotz politischen Willens und Bereitstellung von Geldern auch an ablehnenden oder verweigernden Verwaltungen und Behörden scheitern kann.
Gleichzeitig ringt Bremen derzeit um verschiedene Modelle einer Gesundheitskarte für Nichtversicherte bzw. den Anonymen Krankenschein. Der Koalitionsvertrag dieser Regierung sieht für die medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere eine weiterreichende Lösung vor. Hierfür gibt es viel politischen Willen – Geld hat die Stadt für  das Projekt allerdings (noch) nicht eingestellt.

In Hessen (s. → „AKS Hessen“) wurde seitens des Gesundheitsministeriums noch kein Konzeptentwurf bearbeitet.

Noch im Verhandlungsstadium ist in Sachsen-Anhalt das Konzept für den Anonymen Behandlungsschein Sachsen-Anhalt, ausgearbeitet von Medinetz Halle/Saale und MediNetz Magdeburg. In Anlehnung an das Thüringer Modell sieht es eine medizinische Erstversorgung durch eine behandelnde Ärzt*in, eine Clearing-Beratung und eine Verwaltungsstelle vor. Es wurde politischen Akteur*innen vorgestellt, und mit Politiker*innen und unterschiedlichen Beteiligten des Gesundheitswesen werden Gespräche geführt, um auf die Bedarfe von unversicherten Personen im Land aufmerksam zu machen.
Informationen sind erhältlich über die beiden Medinetze.

Lokale Projekte

In einigen Großstädten (neben Bremen) gibt es schon länger Humanitäre Sprechstunden (vgl. https://forum-illegalitaet.de/wordpress_01/wp-content/uploads/2017/05/BAG-Gesundheit_Illegalit%c3%a4t-Arbeitspapier-2017-final.pdf). Sie haben sich seit 2015 zum Teil weiterentwickelt zu Mischformen: Humanitäre Sprechstunden mit Clearing-/Beratungsstellen und mit (z.T. kooperierendem) Behandlungsfonds insbesondere für Papierlose und andere Menschen ohne Krankenversicherung.

Seit April 2020 gibt es in München die „Clearingstelle Gesundheit“ als Anlaufstelle für Menschen ohne Krankenversicherung oder mit ungeklärtem Versicherungsstatus. Sie soll Zugang zur gesundheitlichen Regelversorgung ermöglichen. Soweit dies nicht möglich ist, vermittelt sie zur – nach Wunsch anonymen – Behandlung an entsprechende Organisationen zur medizinischen Versorgung (z.B. an die Stelle von „Ärzte der Welt“) bei Kostenübernahme für Mittellose aus einem kommunalen Fonds. Die Zahl der Patient:innen steigt deutlich.
https://www.condrobs.de/einrichtungen/clearingstelle/ueber-uns

In Frankfurt/M. startete im Februar 2021 die „Clearingstelle 1.0“, zunächst als zweijähriges Pilotprojekt des Gesundheitsamts – das seit vielen Jahren eine Humanitäre Sprechstunde ohne Weitergabe der Daten an Behörden anbietet. Getragen wird es gemeinsam mit dem Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt und in Kooperation mit dem FB „Soziale Arbeit und Gesundheit“ an der Frankfurt University of Applied Science, der die Berater:innen stellt. Ziel ist, Menschen mit ungeklärtem Krankenversicherungsstatus ins medizinische Regelsystem zu vermitteln. Mittelfristig soll das Angebot erweitert und fest etabliert werden, dazu soll dann auch ein Behandlungsfonds gehören, aus dem dringend notwendige fachärztliche und stationäre Behandlungen bezahlt werden können.
https://frankfurt.de/aktuelle-meldung/meldungen/pilotprojekt (Kontakt bisher nur Mailadresse  Clearingstelle Gesundheitsamt Frankfurt/M.)

Schon seit Mitte 2015 gibt es in Düsseldorf in der Flüchtlingsinitiative „Stay!“ eine Beratungs- und Vermittlungsstelle, die – nach Bedarf anonyme – medizinische Behandlung bietet bzw. vermittelt. Die Behandlung erfolgt durch ehrenamtliche Ärzt:innen in den Sprechstunden; für fachärztliche und gegebenenfalls stationäre Behandlungen gibt es daneben einen Behandlungsfonds (s.a. → Jahresrückblick 2019). Die Finanzierung aus dem städtischen Haushalt wurde auch aktuell weiter verlängert.
http://www.stay-duesseldorf.de/medinetz/

Aus einer Initiative des Medinetz Leipzig entstand im November 2019 das Projekt CABL e.V. (Clearingstelle und Anonymer Behandlungsschein Leipzig) mit städtischer Förderung. In den zwei wöchentlichen Sprechstunden gibt es eine sozialrechtliche Beratung mit dem Ziel einer Integration in Regelversorgung, zugleich geben ehrenamtliche Ärzt:innen Anonyme Behandlungsscheine aus. Das bisherige Budget reichte für die vorgesehenen ambulanten Behandlungskosten aus, zuletzt sehr knapp, für 2021 wurde es um ein Drittel auf 123.000 Euro aufgestockt. Die Übernahme stationärer Kosten ist noch in Verhandlung.
https://cab-leipzig.de/wp/

In Hannover hatte das Ende des Projekts „Gesundheitsversorgung für Papierlose/ Anonymer Krankenschein“ (s.a. → Gesundheitsversorgung für Papierlose/ Anonymer Krankenschein Hannover und Göttingen 2015 bis 2018) eine massiven Überlastung des Medinetz Hannover bewirkt. Ein Antrag an das Land für ein erweitertes Nachfolgeprojekt war 2019 gescheitert. Zusammen mit Diakonie sowie Caritas/ Malteser Hannover konnte von der Region Hannover die Förderung einer Clearingstelle für zunächst drei Jahre ab Mai 2021 erreicht werden. Es bietet für Menschen ohne Krankenversicherung und solche ohne Aufenthaltsstatus eine Beratung mit dem Ziel einer Integration in Regelversorgung bzw. in einen Aufenthaltsstatus. Die Stellen für vier Beschäftigte (halbe Stellen) wurden zwischen Februar und Mai 2021 besetzt, bis Anfang Mai 2021 wurden schon 41 Betroffene beraten. Ein Förderungsantrag auf einen Behandlungsfonds (ambulant und stationär) liegt dem Land Niedersachsen vor, ist aber noch nicht vorwärts gekommen.

Zusammen mit dem MedinetzBonn und mehreren anderen Organisationen wurde in Bonn 2019 der Verein „Anonymer Krankenschein Bonn e.V.“ gegründet. Einen entsprechenden Bürgerantrag zur Einführung eines AKS hat der Sozialausschuss am 19.08.2020 dann einstimmig angenommen. Aktuell befindet sich der Verein in Gesprächen zur konkreten Umsetzung mit der Stadtverwaltung, das Ziel ist es, im Sommer 2021 starten zu können. Angezielt ist ein städtischer Fonds mit eigener Buchhaltung zur ambulanten und stationären Behandlung von Menschen ohne Krankenversicherung, anonyme Behandlungsscheine sollen durch eine/n Ärzt:in ausgestellt werden. Zugleich soll es eine Clearingstelle zur sozialrechtlichen und juristischen Integration ins Krankenversicherungssystem geben.
https://aks-bonn.de/