- März 2018
Am 3. Feb. 2018 trafen sich in Göttingen bestehende Projekte und Initiativen eines Anonymisierten Krankenscheins. Die 32 TeilnehmerInnen waren aus 9 Städten und einem Landkreis gekommen, um Erfahrungen auszutauschen und Konzepte zu entwickeln.
Vorstellung bestehender Projekte
- In Düsseldorf startete die Vergabepraxis am 1.1.2015. Ab Juni 2015 konnte im zunächst dreijährigen Projekt (Verlängerung derzeit bis Ende 2018 gesichert) aber kein AK ausgegeben werden, sondern mittels Clearingsstelle und Notfallfonds wird medizinische Hilfe vermittelt und finanziert. Es wurden 229 KlientInnen beraten, 130 papierlose Nicht-EU-BürgerInnen (6 Mo. am Ort wohnhaft) wurden teils in eigener Praxis-Sprechstunde behandelt oder an FachärztInnen und Krankenhäuser weiter vermittelt; Behandlungsrahmen: §§ 4 und 6 AsylbLG in Anlehnung an Leistungen der Gesundheitskarte für Geflüchtete. Die Honorierung erfolgt zum einfachen GOÄ-Satz bzw. nach DRG, die Fonds-Grenze von 100.000 € jährlich für medizin. Ausgaben wurde 2017 nahezu erreicht. Personalkosten werden zusätzlich finanziert.
- In Hannover und Göttingen/ Niedersachsen begann die Vergabearbeit des Modellprojekts im Feb./ März 2015 und endet zum 30. Nov. 2018, eine danach mögliche Ausweitung ist politisch schwierig. Die Praxis in den beiden Vergabestellen hat relativ enge Vorgaben – Begrenzung auf § 4 AsylbLG; Psychotherapien nur als Not-Intervention; umfangreiche Berichtspflicht, einige Eingriffe in die laufende Arbeit. In den ersten zwei Jahren gab es 730 Beratungen, ausgegeben wurden 597 Behandlungsscheine. Das Jahresbudget beträgt 500.000 €, darin für medizinische Ausgaben ca. 420.000 €, die im zweiten Projektjahr zu 40% ausgeschöpft wurden für ambulante und stationäre Behandlungen und Hilfsmittel. Abrechnungen erfolgen zu Kassensätzen über die regulären Instanzen (KVN, KZVN, LAV/ Apotheken-Rechenzentren; die AOK prüft Krankenhaus- und Hilfsmittel-Rechnungen).
- Der zunächst auf drei Jahre begrenzte AKS Thüringen startete im Feb. 2017. Mit dem zweiten Projektjahr sollen hier nicht nur MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus, sondern alle Menschen ohne Krankenversicherung beraten werden, der Behandlungsrahmen entspricht Vorgaben des Rahmenvertrags zur Gesundheitskarte für Geflüchtete. Im ersten Projektjahr wurden circa 70 Menschen beraten und 60 in eine Behandlung vermittelt. Die Zentrale in Jena vergibt nicht nur Scheine, sondern leistet Beratung und Abrechnung; ein System von „Vertrauensärzten“ zur Vergabe von Krankenscheinen wird ständig erweitert (derzeit 11 Standorte im Land). Abgerechnet wird mit dem einfachen Satz GOÄ. Das Ausgabenlimit von 250.000 € pro Jahr wurde 2017 zu einem Drittel ausgeschöpft. Dolmetscherkosten werden ebenfalls übernommen. Allerdings sind stationäre Behandlungen aktuell (Stand März 2018) noch nicht genehmigt.
Trotz sehr erheblicher Expansion der Behandlungszahlen wurden in keinem Projekt die Ausgabengrenzen erreicht.
Das AK-Vorhaben in Berlin ist schon im laufenden Haushalt 1,5 Mio. € verankert. Der Koalitionsvertrag sieht neben dem AK auch eine Clearingstelle vor. Die Zielgruppe wurde prinzipiell auch auf Deutsche und EU-Bürger_innen ausgedehnt. Ähnlich wie in Niedersachsen gibt sich die Gesundheitsverwaltung eher als Bedenkenträgerin, v.a. was die Angst vor einer Kostenexplosion anbelangt. Inwieweit der etablierte Runde Tisch, der Institutionen und NGOs einbezieht, weitere Einflussmöglichkeiten gestattet, bleibt abzuwarten.
Einsichten aus Diskussionsgruppen
‚Maximalmodell‘ wäre: Krankenversicherung für Alle; bei Einkommensarmen trüge der Staat die Kosten. Eine Stufe bescheidener ist die Forderung, AKs in allen Bundesländern aus dem Asyl-Topf zu finanzieren – dem Haupteinwand unabsehbarer Kosten könnten die Ausgaben-Entwicklungen in bestehenden Projekten entgegengehalten werden.
Die Abrechnung von AKs zum Kassensatz über KVen bzw. KZVen und Apotheken-Rechnungszentren ist für die medizinische Praxis die beste Lösung – für die Betroffenen nur dann, wenn die Behandlungsvorgaben den Rahmenverträgen für Gesundheitskarten entsprechen.
Notwendig wäre eine gute Verbindung mit sozial-rechtlicher Beratungspraxis ähnlich bestehender Clearingstellen, diese müssten aber direkt in Krankenbehandlung vermitteln. – Die Clearingstellen in NRW sollen dem Vernehmen nach abgeschafft werden, bevor auch nur Klarheit über ihre Leistungsfähigkeit besteht.
Kosten für Sprachmittlung müssen endlich über GKV abgedeckt werden; Klagen von ÄrztInnen könnten den Druck hierfür erhöhen. Als Zwischenlösung erscheint die inzwischen recht gut entwickelte Sprachmittlung über Video geeignet, die rasch und kostengünstig funktioniert.